Landkarte der Zukunft – wie sehen die Innenstädte in Südwestfalen 2030 aus?
Unter der Moderation des Competence Center E-Commerce (CCEC) aus Soest und der Scenario Management International AG (ScMI AG) fand am 30. Juni 2020 der Abschlussworkshop zum Thema Szenario-Analyse als Webinar mit rund 40 Vertretern aus den Partnerkommunen statt. Das City Lab Südwestfalen stellte die Ergebnisse der Szenario-Analyse vor und diskutierte mit den Teilnehmern über die möglichen Zukünfte heimischer Innenstädte. „Maßgebend für die Analyse waren acht denkbare Szenarien, basierend auf über 60 Schlüsselfaktoren, die den Befragten als Orientierung dienten. Theoretisch wären 50.331.648.000.000 Zukünfte möglich gewesen“, so Prof. Dr. Peter Weber vom CCEC.
Ländliche Innenstadt 2030: Verödung oder Magnet für lokale Einkäufer und Touristen?
Szenario 1: Regionaler Marktplatz
„Die Innenstadt als Magnet für lokale Einkäufer und Touristen“
Die Zukunft südwestfälischer Innenstädte ist erfolgsversprechend. Das Zusammenspiel aus Förderungen und einer hohen Technologieakzeptanz in der Bevölkerung führt zur erfolgreichen digitalen Transformation der Städte. Die Lebensqualität in der Region Südwestfalen ist hoch weswegen der Wohnungsmarkt hart umkämpft ist. Das ist jedoch nur ein Luxusproblem, denn die Attraktivität der Stadt lockt neue Bürger in vielerlei Hinsicht an. Die Bürger können sich gut mit ihrer Stadt identifizieren und zeigen ihre Solidarität durch lokales Einkaufen. Unter diesen Voraussetzungen können Ketten und inhabergeführte Geschäfte nebeneinander bestehen. Ein gesunder Einzelhandel hilft dabei die hohe Bedeutung der Innenstadt im touristischen Angebot zu stärken, sodass die Innenstadt sowohl als Marktplatz als auch als Erlebniswelt wahrgenommen wird.
- Prosperierende Wirtschaft & starke Digitalisierung
- Hohe Lebensqualität & Bürgerbeteiligung
- Regionalität & Nachhaltigkeit & proaktive Kommunalpolitik
- Innenstadt als Marktplatz
Szenario 2: Erlebnis statt Shopping
„Bürgerorientierung verändert die Rolle der Stadt“
Die Innenstädte in Südwestfalen bleiben vital aber verändern sich. Ein Hauptgrund dafür ist die Digitalisierung, die nicht nur durch Innovationsförderungen, sondern auch durch die Zustimmung der Gesellschaft weit vorangeschritten ist. Die Beteiligung der Bürger an der Stadtplanung und ein geändertes Konsumverhalten verschieben die Rolle der Stadt vom Marktplatz zur Erlebniswelt. Das Stadtmarketing fokussiert dabei die Innenstädte als Begegnungszentrum und setzt auf Dienstleister, Gastronomen und touristische Konzepte zur Belebung der Stadt. Eingekauft wird zwar regional – aber online.
- Prosperierende Wirtschaft & starke Digitalisierung
- Hohe Lebensqualität & Bürgerbeteiligung
- Regionalität & Nachhaltigkeit & proaktive Kommunalpolitik
- Innenstadt verliert die Marktplatzfunktion
Szenario 3: Service prägt Neuerfindung
„Soziale Distanz und Serviceorientierung zwingen die Stadt sich neu zu erfinden“
Die Innenstädte wie wir sie kennen verlieren an Bedeutung. Digitalisierung wird im ganzen Land begrüßt und die digitale Transformation schreitet voran. Die gute regionale Wirtschaftslage stützt sich auf einen gesunden Mix aus bestehenden und neuen Unternehmen. Die Bürger setzen weniger auf Gemeinschaftlichkeit und Loyalität. Sie können sich zwar mit ihrer Stadt identifizieren, zeigen das aber nur individuell durch die Beteiligung an politischen Entscheidungen, nicht durch soziales Engagement oder lokales Einkaufen. Die Innenstadt wird hauptsächlich wegen des Dienstleistungsangebotes besucht. Auch die Gastronomie und der Tourismus spüren den Konsumverzicht und die soziale Distanz der Bürger, sodass nur die attraktivsten Angebote bestehen bleiben.
- Prosperierende Wirtschaft & starke Digitalisierung
- Hohe Lebensqualität & Bürgerbeteiligung
- Wenig Regionalität & Nachhaltigkeit & reaktive Kommunalpolitik
- Innenstadt verliert die Marktplatzfunktion
Szenario 4: Abkehr von der City
„Digitalisierung lähmt die Innenstadt“
Die Innenstädte in Südwestfalen sind smart aber nur online attraktiv. Die gute Wirtschaftslage schafft beste Voraussetzungen für ein digitales Deutschland. Durch die digitalen Möglichkeiten sind die Menschen unabhängiger und suchen weniger soziale Kontakte. Das örtliche Stadtmarketing fokussiert sich mehr auf die Bewerbung der Region mit ihren smarten Kommunen als auf die Innenstädte selbst. Es wurde verpasst, die Innenstadt in ein Omni-Channel-Konzept mit einzubeziehen, denn trotz hoher finanzieller Mittel wird nur eine passive Innenstadtpolitik betrieben. Da sich die Bürger nur noch wenig mit Ihrer Stadt identifizieren können, werden auch lokale Anbieter und Produkte nicht mehr unterstützt und viel online gekauft.
- Prosperierende Wirtschaft & starke Digitalisierung
- Mäßige Lebensqualität & geringe Bürgerbeteiligung
- Wenig Regionalität & Nachhaltigkeit & reaktive Kommunalpolitik
- Innenstadt verliert die Marktplatzfunktion
Szenario 5: Verödung der Innenstadt
„Verlust jeglicher Funktion der Innenstadt“
Die Innenstädte in Südwestfalen verlieren in diesem Szenario an Glanz und nehmen eine untergeordnete Rolle in der Kommune ein. Die insgesamt stagnierende Wirtschaft in Deutschland sorgt für eine geringe Innovationskraft. Auch die Kommunalpolitik handelt eher reaktiv als proaktiv und nutzt die geringen Spielräume nicht zur Entwicklung der Innenstädte. Dadurch verliert die Innenstadt an Bedeutung als Arbeitsort und die Wirtschaftsstruktur in der Region ist grundsätzlich eher angespannt. Der Attraktivitätsverlust der Innenstadt sorgt für eine höhere Nachfrage im Bereich des Onlinehandels und das Angebot durch regionale Anbieter reduziert sich. Die Innenstadt in Südwestfalen verliert ihre wesentliche Kernfunktion als Marktplatz oder Erlebniswelt und verödet zunehmend.
- Stagnierende Wirtschaft & schwache Digitalisierung
- Mäßige Lebensqualität & geringe Bürgerbeteiligung
- Wenig Regionalität & Nachhaltigkeit & reaktive Kommunalpolitik
- Innenstadt verliert die Marktplatzfunktion
Szenario 6: Ketten prägen Shopping City
„Eine Welt der Ketten dominiert das Innenstadtbild“
In diesem Szenario werden die Innenstädte in Südwestfalen von Ketten im Einzelhandelsangebot geprägt. Eine individuelle Erlebniskultur setzt sich in der Gesellschaft durch. Die Bürger haben nur eine geringe Identifikation mit der eigenen Stadt, wodurch auch die Bereitschaft für ehrenamtliche Aktivitäten sinkt und die Stadt weiter an Attraktivität und Lebensqualität verliert. Die Wirtschaft in Deutschland und der Region Südwestfalen stagniert, worunter auch die digitale Transformation leidet, die von der Gesellschaft auch nur bedingt akzeptiert wird. Bei einer nur moderaten Entwicklung des Onlinehandels wird das innerstädtische Angebot weiter vom Einzelhandel geprägt, jedoch beherrschen Ketten das Bild und die Nachfrage nach lokalen sowie regionalen Produkten sinkt.
- Stagnierende Wirtschaft & schwache Digitalisierung
- Mäßige Lebensqualität & geringe Bürgerbeteiligung
- Wenig Regionalität & Nachhaltigkeit & reaktive Kommunalpolitik
- Innenstadt als Marktplatz
Szenario 7: Zurück zur alten City
„Marktplatz bleibt Kernfunktion der Innenstadt“
Dieses Szenario bildet eine kaum veränderte Struktur der Innenstädte in Südwestfalen und die ursprüngliche Marktplatzfunktion wird beibehalten. Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland gerät ins Stocken und macht auch vor der heimischen Wirtschaft keinen Halt – gleichzeitig wird die digitale Transformation nicht weiter vorangetrieben. Trotz des geringen Handlungsspielraumes auf Grund der geringen Fördermittel legt die Innenstadtpolitik in der Kommune großen Wert auf das proaktive Vorantreiben von Innovationen und schöpft ihre Möglichkeiten aus. Insgesamt ist jedoch der Smart City Hype rückläufig. In der Innenstadt richten sich die Aktivitäten von Stadtmarketing und Wirtschaftsförderung primär auf den Handel, der durch den inhabergeführten Einzelhandel geprägt wird und durch die hohe Nachfrage nach regionalen und lokalen Produkten auch wettbewerbsfähig gegenüber dem Onlinehandel ist, der sich nur noch moderat entwickelt. In Südwestfalen kehren die Innenstädte zu Ihrer Kernfunktion als Marktplatz zurück und das Schaffen einer Erlebniswelt spielt eine untergeordnete Rolle.
- Stagnierende Wirtschaft & schwache Digitalisierung
- Mäßige Lebensqualität & geringe Bürgerbeteiligung
- Regionalität & Nachhaltigkeit & proaktive Kommunalpolitik
- Innenstadt als Marktplatz
Szenario 8: Innenstadt als Anker
„Die Innenstadt als Mittelpunkt gesellschaftlichen Lebens“
In diesem Szenario bilden die Innenstädte in Südwestfalen den Mittelpunkt der Stadt und werden zum Treffpunkt von Bürgern, Unternehmen und Familien. Die Wirtschaftsentwicklung kommt sowohl in Deutschland als auch in der Region zum Stillstand und eine geringe Technologieakzeptanz in der Gesellschaft behindert die digitale Transformation. Speziell in der Region Südwestfalen herrscht eine hohe Lebensqualität, die durch erschwinglichen Wohnraum und gute allgemeinbildende Angebote begünstigt wird. Die Solidarität der Bürger steigt gegenüber regionalen Produkten und Anbietern wovon der inhabergeführte Einzelhandel profitiert. Daraus resultierend konzentrieren sich die Aktivitäten des Stadtmarketingsund der Wirtschaftsförderung auf die Unterstützung und Entwicklung des stationären Handels vor Ort, der ein durchmischtes Angebot von Ketten und inhabergeführten Geschäften zu bieten hat. Gastronomische Betriebe punkten mit einem breiten Angebot, wodurch die Innenstadt zu einem wichtigen Anker der Stadt und der Zusammenkunft von Bürgern, Besuchern und Familien wird.
- Stagnierende Wirtschaft & schwache Digitalisierung
- Hohe Lebensqualität & Bürgerbeteiligung
- Regionalität & Nachhaltigkeit & proaktive Kommunalpolitik
- Innenstadt als Marktplatz
Wie werden sich die Innenstädte in Südwestfalen in den nächsten 10 Jahren verändern?
„Aktuell sehen sich die Kommunen eher in einem Szenario, in der die Innenstadt Anker und Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens ist, während sich das wirtschaftliche Umfeld und die digitale Entwicklung eher schleppend entwickeln“, erklärt Dr. Alexander Fink von der ScMI AG. Die zukünftige Rolle von Innenstädten wird über die Kernfunktionen als Marktplatz und Erlebniswelt beschrieben. Während in zwei der Szenarien die Marktplatzfunktion dominiert (Szenarien 6 und 7), kommt es in zwei anderen Szenarien zu einem parallelen Ausbau der Innenstadt in eine Erlebniswelt (Szenarien 1 und 8). In einem weiteren Szenario löst die Erlebniswelt die Marktplatzfunktion sogar weitestgehend ab (Szenario 2), wohingegen in den drei übrigen Szenarien ein grundlegender Verlust beider Innenstadt-Kernfunktionen zu beklagen wäre (Szenarien 3 bis 5).
Bei der Bewertung der Szenarien wurden die Vertreter der Partnerkommunen (u. a. aus Politik, Bürgerschaft, Einzelhandel, Dienstleistung, Tourismus, Stadtmarketing und Wirtschaftsförderung) befragt, wie sich ihre Innenstadt hinsichtlich der Szenarienfelder bis 2030 wahrscheinlich verändern wird. Immer mehr Befragte sehen die Möglichkeit einer Abkehr von der City – aber niemand erwartet es wirklich als höchstwahrscheinliches Szenario. Es wird eher erwartet, dass die Innenstadt in der Zukunft zum „Magneten für lokale Einkäufer und Touristen“ oder zur „Erlebniswelt“ wird – frei nach der Devise: offline erleben – online versorgen.
Die entwickelten Szenarien werden den Kommunen nun als Werkzeuge zur Verfügung gestellt, um Entscheidungen über Innenstadtprojekte unter Berücksichtigung möglicher zukünftiger Entwicklungen und damit zukunftsrobuster treffen zu können.
Weitere Infos zu den Ergebnissen der Szenario-Analyse finden Sie in der ausführlichen Präsentation des Competence Center E-Commerce und der ScMI AG. Hier geht es zum kostenfreien Download.