Attraktive Innenstädte als Schlüssel zum Erfolg
Interview mit Professor Dr. Valerie Wulfhorst
Wir haben unsere Projektpartnerin Valerie Wulfhorst, Professorin für BWL an der Fachhochschule Südwestfalen, gefragt, was ihre ganz persönliche Motivation für die Teilnahme Projekt City Lab ist:
Seit 2009 ist sie Professorin für BWL an der Fachhochschule Südwestfalen am Standort Soest und hat vorab an der Ruhr-Universität Bochum am Marketing-Lehrstuhl promoviert. Durch den Familienbetrieb ihres Mannes, der Brotmanufaktur Wulfhorst in Bielefeld, kennt sie die Herausforderungen nicht nur aus Statistiken oder Forschungsberichten, sondern erlebt sie tagtäglich hautnah. Es ist ihr daher eine große Freude gemeinsam mit den IHKs Arnsberg und Hagen und den Kollegen von der FH Südwestfalen und der TU Dortmund einen möglichen Lösungsweg aus der Schere zwischen Wettbewerbsdruck und -nachteilen für die innenstadtrelevanten KMUs zu entwickeln. Kleine und mittelständische Einzelhändler, Handwerker, Gastronomen und Dienstleister in den Mittelzentren Südwestfalens stehen heutzutage vor großen Herausforderungen.
Boomender Online-Handel und steigender Kostendruck
City Lab: „Frau Wulfhorst, welche Probleme sehen Sie für die kleinen und mittleren Unternehmen in unseren Innenstädten?“
Valerie Wulfhorst: „Einerseits wird der Wettbewerb durch große Ketten immer intensiver: Kunden werden durch günstige Preisangebote und ein breites Produktsortiment gelockt, der Online-Handel boomt und das Kaufverhalten ändert sich mit der Tendenz, den Service vom lokalen Händler abzugreifen, aber dann das günstigere Online-Angebot zu kaufen bzw. lokale Handwerkspreise mit vorher „gegoogelten“ Online-Preisen zu drücken.
Andererseits haben die kleinen und mittelständischen Unternehmen aber mit knapperen Ressourcen zu kämpfen: hoher Kostendruck aufgrund geringerer Skaleneffekte, höhere Einkaufspreise (z.B. können bekannte Marken ihre Verhandlungs- und Marktposition bei den Zulieferpreisen an kleine Händler ausnutzen), Personal- und Fachkräftemangel (in der Regel haben es große Ketten als Arbeitgeber aufgrund ihrer Bekanntheit leichter, qualifiziertes Personal zu finden), bürokratischer Aufwand, steigende Mietpreise in den attraktiven Innenstadtlagen und eine Personalstruktur, die weniger Expertise hinsichtlich Digitalisierung, Marketing, IT u.v.m. zulässt.
Diese Schere wird durch den demografischen Wandel noch verstärkt: Nachfolgeprobleme der kleinen und mittelständischen Unternehmen, abnehmende Zahlen der Erwerbsbevölkerung, Abwanderung junger Menschen in stärker urbanisierte Regionen, mangelnde Attraktivität der Region für Hochqualifizierte, teilweise schwache Versorgungsstrukturen in ländlichen Räumen, geringere Anzahl an Einzelhandelsbetrieben und Ladenhandwerk sowie die stetige Verschärfung des Fachkräftemangels sind nur einige Schwächen bzw. Risiken, die im integrierten Handlungskonzept der Region SWF aus 2014 identifiziert wurden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie man diesen Teufelskreis durchbrechen kann.“
Wie kann die Attraktivität der Innenstadt erhöht werden?
City Lab: „Was bedeutet das?“
Valerie Wulfhorst: „Ein Schlüssel zum Erfolg scheint die Attraktivität der Region und der Innenstädte an sich zu sein: Lebendige Städte und Dörfer, attraktive Ausbildungs-, Berufs- und Freizeitangebote, nachhaltige, ganzheitliche Stadtentwicklung und eine Stärkung der Innenstädte durch nachhaltige Strategien zur Unterstützung von Start-Ups und Multi-Channel-Handel erhöhen die Kundenfrequenz in den Städten. Die zentrale Frage lautet also, wie die Attraktivität und Innovationskraft der Region und Innenstädte erhöht werden kann. Genau an dieser Stelle setzt die Idee des „City Lab Südwestfalen“ an, ein gemeinsames Forschungs- und Entwicklungsprojekt der Industrie- und Handelskammern Arnsberg und Hagen, der Fachhochschule Südwestfalen und der Technischen Universität Dortmund. Adressaten des Projekts sind nicht nur die inhabergeführten Einzelhändler in den Mittelzentren Südwestfalens, sondern ebenso Gastronomen, Handwerker mit Ladengeschäften und Dienstleister, die allesamt von den beschriebenen Problemen betroffen sind. Gleichzeitig sollen wichtige Netzwerke einbezogen werden: Stadtmarketing und Gemeinden, Wirtschaftsförderer, Kaufmannschaften, Kultureinrichtungen, Vereine, usw.
Digitale Services als wichtiger Baustein für lebendige Innenstädte
City Lab: „Wie wird das Projekt konkret ablaufen?“
Valerie Wulfhorst:“ Als Ziel hat sich die Projektgruppe zunächst die Steigerung der Attraktivität und Aufenthaltsqualität in den Innenstädten Südwestfalens für Einwohner, Besucher, Touristen und zuzugswillige Fachkräfte gesetzt. Hierfür sollen einerseits die unternehmerischen Kompetenzen gestärkt, andererseits digitale Services entwickelt und durch die beteiligten Akteure der Stadt erbracht werden. Diese sollen auf die speziellen Eigenschaften einer Stadt zugeschnitten und durch ein konsistentes Stadtmarketing untermauert werden. Die Projektidee basiert auf zwei Phasen: In einer ersten Phase sollen Innovations- und Attraktivitätsprofile gemeinsam mit den beteiligten Städten entwickelt und Qualifizierungsworkshops angeboten werden. In einer zweiten Phase soll eine Modellstadt ausgewählt und das entwickelte Profil durch Profilentwicklungsprojekte „mit Leben gefüllt“ werden. Diese Umsetzung basiert auf drei Säulen: 1. einer City Marketing-Fundierung, 2. einer webbasierten Architektur- und Prozessplattform (z. B. City Analytics) und 3. zielgruppenspezifischen Umsetzungsinstrumenten (z. B. City-Frequenzgenerierungs-App). Auch diese Projektphase soll durch Weiterbildungsangebote, wissenschaftliche Forschung sowie lokale „Kümmerer“, also vor Ort arbeitende Ansprechpartner begleitet werden.“